Es war einmal... Der leuchtende Stein

  • 2 Mai 2023
  • Katrin Bamberg - Spinnradmärchen

(Nach einem chinesischen Märchen, Erzählfassung: Katrin Bamberg)

Einst lebte ein junger Bauer in einem Dorf inmitten von Bergen und Hügeln. Er bewirtschaftete seinen Hof und plagte sich tagein, tagaus. Auch hatte er einen kleinen, steinigen Acker und einen Esel. Den Esel mochte er gern, denn er trug die schweren Säcke. Manchmal trug er sogar den jungen Bauern selbst auf seinem Rücken. Aber schwer war die Zeit doch und der Bauer wünschte sich von ganzem Herzen eine Frau und Kinder. Da wäre Leben auf dem Hof und er wäre nicht so allein. 

Sein Nachbar war auch allein, aber so reich, er hätte sich jede Frau nehmen können. Doch hatte er an jeder etwas auszusetzen. Allesamt waren ihm nicht wohlhabend genug. „Wer reich ist, muss noch reicher heiraten.“, sprach er. „Denn das Geld muss zum Geld!“ Obgleich die beiden Nachbarn recht unterschiedlichen waren, grüßten sie sich freundlich.

Am östlichen Fluss lebte der König des Landes. Er hatte eine Tochter, die war so schön, wie die Sonne. Als sie erwachsen ward, sprach der König: „Es wird Zeit, dass du heiratest.“ Und er schlug ihr zahllose Adlige und wohlhabende Männer vor. Doch die Prinzessin schüttelte bei jedem den Kopf: „Nein, den will ich nicht!“ Der König rief voller Zorn: „Was willst du denn für einen?“ – „Ich möchte keinen von diesen Prinzen, keinen Grafen und keinen reichen Edelmann. Ich will einen einfachen Mann, der ehrlich und mutig ist.“ Im Traum hatte sie ihn längst gesehen: es war ein junger, fleißiger Bauernbursche. Er war gut zu den Tieren, er verzagte nicht, auch wenn es schwierig wurde. Den wollte sie haben.“ – „Ein Bauernbursche!“, schrie der König. „Das kommt nicht infrage! Niemals!“ Da fing die Prinzessin an zu weinen. Sie weinte Tag und Nacht. All ihre Tränen ließen die Bäche und Flüsse anschwellen und im Meer war so viel Wasser, wie nie zuvor. „Was sollen wir tun?“, fragte der König ganz verzweifelt seine Berater. „Das Land wird versinken. Die ersten Dörfer sind bereits überschwemmt.“ Die Berater schüttelten ratlos die Köpfe und blieben stumm. 

In dieser Nacht schickte die Prinzessin dem jungen Bauernburschen einen Traum und als der Bursche am Morgen die Augen aufschlug, war ihm noch ganz warm ums Herz. Er wusste allerdings nicht, was er mit diesem Traum anfangen sollte. „Ich will meinen Nachbarn fragen, vielleicht kennt er sich mit solchen Dingen besser aus.“

Als sich die beiden am nächsten Tag trafen, erzählte der Arme dem Reichen, was er nachts geträumt hatte. „Mir ist heute Nacht im Traum eine junge schöne Prinzessin erschienen. Sie hatte ein so hübsches Gesicht, einen anmutigen Gang und eine Stimme wie ein rauschendes Bächlein. Sie sprach mich an und wollte mich zum Manne. Doch müsse ich ihr einen besonderen Stein mitbringen: den Stein der Weisheit, der im Dunkeln leuchtet.“ – „Meinst du, sie ist ein solch großes Abenteuer wert?“ – „Das ist sie gewiss, denn sie ist die schönste Frau, die ich jemals gesehen habe.“ – „Aber wo kannst du sie finden?“ – „Sie lebt im goldenen Schloss am östlichen Fluss.“ 

Der Reiche war gierig und überlegte, wie er es anstellen könne, dass er die reiche Prinzessin zur Frau bekäme. 

So sprach er zum Armen: „Weißt du was, ich werde dir helfen. Kümmere du dich ruhig um dein Feld und deinen Esel. Ich werde mit meinem schnellen Pferd los eilen und den Stein zur Prinzessin bringen.“ – „Das würdest du FÜR MICH tun, mein Freund?“ – „Selbstverständlich! Denn keiner hat das Glück mehr verdient als du.“, lachte der Reiche, schwang sich auf sein Pferd und galoppierte davon. 

Der Arme stach solang noch einen Korb voll Disteln aus, die waren ein guter Reiseproviant für seinen Esel. Dann machte auch er sich auf den Weg. Er kam nur langsam voran und als es Abend wurde, gelangte er in ein Dorf, dort waren die Felder und Wiesen überschwemmt. „Was ist hier geschehen?“, fragte der Arme. „Ein schreckliches Hochwasser kam und seither sind unsere Felder überschwemmt, die Ernte wird verderben.“ – „Wer oder was kann euch helfen?“ – „Man erzählt sich von einem goldenen Krug. Der könne das viele Wasser abschöpfen. Aber dieser befindet sich auf einem Berg in einem finsteren Felsenturm und wird von einem Drachen bewacht.“ – „Ich werde mein Bestes tun und wenn es gelingt, werde ich euch den goldenen Krug mitbringen.“ Er ritt weiter auf seinem Esel immer Richtung Schloss. Als er das Schloss endlich erreichte, kam ihm tatsächlich der Nachbar schon am Schlosstor entgegen. „Ich weiß jetzt, wo wir den leuchtenden Stein der Weisheit finden. Die Prinzessin war so freundlich und hat es mir verraten. Siehst du da in der Ferne den Berg.“ – „Ja, den sehe ich!“ 

„Siehst du auch den finsteren Felsenturm? Dort nämlich haust ein gefährlicher Drache und bewacht einen Schatz. Zu diesem Schatz gehört auch der Stein der Weisheit, der Vollkommenheit und der Güte. Dieser leuchtet im Dunkeln.“ So brachen sie auf und ritten gemeinsam immer Richtung Felsenturm. Der Wald wurde dichter, man hörte den Drachen fauchen und schnaufen. Heiße Flammen loderten aus dem Turm hinauf. Furchtlos klopften sie ans Tor. „Ich weiß, weshalb ihr gekommen seid. Kommt nur herein und folgt mir.“ Mit stampfenden Schritten lief der Drache voraus und öffnete die schwere Tür zur Schatzkammer. „Hört! Ihr müsst das Gesetz der Drachen befolgen. Es heißt, dass jeder Sterbliche nur einen einzigen Gegenstand forttragen darf.“ Die beiden Nachbarn traten ein und staunten. Eine solche Pracht hatten sie noch nie gesehen. Es glitzerte und funkelte und mitten in all diesen Schätzen lag ein Stein, der im Dunkeln leuchtete. Der Arme dachte an die schöne Prinzessin und sein Herz krampfte sich zusammen. Nein, er konnte den Stein nicht nehmen. Im überschwemmten Dorf warteten doch die Dorfbewohner auf seine Hilfe. Der Arme trat vor und griff nach dem goldenen Krug, der daneben stand: „Gestatte mir, dass ich den goldenen Krug nehme, mächtiger Beschützer des Drachenschatzes.“ Gleichzeitig stürzte der Reiche auf den Stein zu und ergriff ihn. „Behaltet eure Schätze. Vielleicht bringen Sie euch Glück.“, raunte der Drache und als sein riesiges Maul sich zu einem sonderbaren Lächeln verzog, konnte man die scharfen Zähne blitzen sehen.

Auf dem Weg zum Schloss, gelangten sie wieder durch das Dorf und der Arme überreichte dem Dorfältesten den goldenen Krug. Der begann zu schöpfen und das Wasser ging zurück. Die Felder wurden instantgesetzt und die Dörfler jubelten: „Wie können wir dir danken?“, fragte der Dorfälteste mit Tränen in den Augen. „Wir besitzen nichts mehr. Das Wasser hat fast alles zerstört.“ Da trat ein kleines Mädchen herbei und hielt etwas in der Hand. Im Schlamm hatte es einen Stein gefunden, der war so groß wie ihre Faust. „Wir haben nichts, was wir dir geben können, aber nimm als Andenken diesen Stein von uns.“ Mit dem schlammigen Stein in der Hand stieg der Arme auf seinen Esel und ritt voller Sorge neben seinem Nachbarn her, der hoch zu Ross den Stein aus der Schatzkammer des Drachen hielt und unbekümmert lächelte. 

Der Arme aber schaute den hässlichen Stein an und murmelte: „Was werde ich mit solch einem Stein anfangen können?“, und dennoch erwärmte es ihm das Herz, dass er das Dorf hatte retten können. So gelangten sie am Abend zum Schloss und der Reiche streckte der Prinzessin seinen Stein entgegen. Doch was sah man da? Glaubt es, oder glaubt es nicht: der schöne Stein aus der Schatzkammer des Drachen leuchtete kein bisschen. Als die Prinzessin ihn berührte zerfiel er zu Staub.

Nun trat sie dem Armen entgegen: „Und was hältst du hinter deinem Rücken verborgen?“  Er schämte sich sehr und antwortete: „Da ist nichts.“ Neugierig schaute die Prinzessin nach dem schlammverschmierten Stein: „Woher hast du ihn?“ – „Ach, das ist nur ein ganz gewöhnlicher Stein, ich habe ihn unterwegs geschenkt bekommen.“ Doch legte er ihr den Stein in die Hand. Da begann der Stein plötzlich zu leuchten und zu strahlen. Der Glanz erhellte das Schloss und als der erstaunte König samt seinem Hofstaat in den Saal trat, rief die Prinzessin voller Freude: „Das ist der richtige Mann für mich!“ Der Bursche reichte der Prinzessin sein Taschentuch und trocknete ihr die Tränen. Von da an hatten die Überschwemmungen ein Ende. Es wurde Hochzeit gehalten, und das junge Königspaar regierte voller Güte und mit großer Weisheit das Land. Der einfache Stein aber liegt in der Schatzkammer des goldenen Schlosses. Wer hätte gedacht, welche Bedeutung ein solch einfacher Stein haben kann.

 

Öffentliche Erzähltermine:

Freitag 12.05.2023 19 Uhr Kirche Sand Wunschpunsch

Sonntag 21.05.2023 15 Uhr Theater der 2 Ufer Kehl Märchen im Zauberwäldchen

Sonntag 18.06.2023 15 Uhr Theater der 2 Ufer Kehl Märchen im Zauberwäldchen

Freitag 23.06.2023 19 Uhr Kirche Sand Wunschpunsch

Katrin Bamberg - Spinnradmärchen

Kommen Sie mit auf eine Reise ins Reich der Kobolde und Prinzen, in die Welt der Waschweiber und zornigen Riesen, an knisternde Indianerfeuer, in die Wälder der Drachen und ihrer Bezwinger. Hören Sie schon das Quietschen alter Türen oder das frohlockende Zirpen des Zaubervogels? Riechen Sie Zauberkräuter, die frische Brise an einem entlegenen See, den weihnachtlichen Duft nach Äpfeln und Zimt in gemütlichen Stuben? Ich entführe Sie in die Welt der Märchen. Die Fäden alter, längst vergessener Geschichten spinne ich neu, und bekannten Sagen und Erzählungen verleihe ich zu neuem, noch ganz unbekanntem Glanz. Das sich unablässig drehende Spinnrad spinnt einen schier nicht enden wollenden Geschichtenstrang. Märchen , Sagen , Geschichten erzählt man sich überall Ideale Orte und Gelegenheiten für Geschichten : Kindergärten Kliniken Geburtstage Schulen Altenheime Hochzeiten